Inselhopping interstellar

12.09.2016

Wenn es interstellare Reisen gibt, dann ist diese hier ein guter Kandidat dafür. Um 10.20Uhr und damit 40min vor Plan legt das kleine Katamaranboot „Pengiun 33“ im Hafen von Korsakow ab.

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Hafen Korsakow, Blick vom Boot. Hinten das südlichste Gleis Sachalins.

Ziel: Wakkanai, Hokkaido, Japan! Nur unweit von hier, aber trotzdem eine gaaaaaanz andere Welt.
Denn nun wird alles, aber auch wirklich alles vom Kopf auf die Füße gestellt.
An Bord sind vielleicht 50 Personen, unter anderem Gianluca und Maria, die morgens plötzlich gleichzeitig mit mir aus der Hostel auscheckten. Endlich wieder ein wenig socializing, das sogar auf Deutsch, denn Maria kommt aus Weimar, Gianluca zwar aus Livorno, aber er interessiert sich für Sprachen und so ist sein Deutsch makellos, wie auch sein Russisch beeindruckend ist. Er bezeichnet sich als Übersetzer und Fotojournalist, reist ziemlich viel und gern, wie das auch Maria tut.

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Blick zurück nach Korsakow.

Die beiden haben eine längere Tour durch die hintersten Ecken Russlands hinter sich, sind gestern erst aus Vladivostok eingeflogen und wollen nun mit Japan weiter machen. Geboren sind sie übrigens 1988 und 1990, im Iran waren sie mehrfach und selbst vor Afghanistan hat keiner von beiden Hemmungen. Menschen gibt das… An Bord sind sie damit in guter Gesellschaft.

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Russland trifft die Philipinen auf dem Weg nach Japan. Der Herr links behauptete,der Predstavitel von Sasco, der Sachalin-Fährgesellschaft zu sein.

Mit an Bord auch der „Predstavitel“ (also Chef, würde ich denken) von Sachalins Fährgesellschaft Sasco der auch total nett und freundlich daherkommt. Eigentlich müsste ich ihn zum Mond schießen, da er mir meine Reise gerade arg beschädigt hat. Naja, zum Aufregen ist jetzt aber keine Zeit. Schließlich ist dies ja doch keine ganz gewöhnliche Schiffsfahrt.

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Und das ist es: DAS Ende des größten Landes der Erde. Kap Krylon, die Südspitze Sachalins.

Die ersten zwei Stunden zieht das Boot die Küste von Sachalin entlang, dann irgendwann die Südspitze, Kap Krylon, natürlich mit vielen Horchposten und anderen militärischen Einrichtungen.

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Blick nach Süden, Hokkaido ist schon zu sehen während die russische Flagge noch weht…

Irgendwann werde ich aufs Dach eingeladen und darf wenig später dem historischen Moment beiwohnen, als die russische gegen die japanische Flagge getauscht wird, da ist das japanische „Festland“ im Süden schon längst in Sicht. Man sieht deutlich beide Landmassen gleichzeitig.

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…wenig später der historische Moment: Flaggenwechsel! (Sachalins Südspitze immer noch rechts im Hintergrund)

Die Crew an Bord ist indonesisch, das Boot in Singapur stationiert, die kunterbunte Fahne am Heck gehört dagegen nach Dominica. Und ja, so bestätigt die Mannschaft, sie fahren nach Saisonende der Sachalinfähre zusammen mit dem Schiff wirklich zurück nach Singapur, ein Deck wird vorher in ein Treibstofflager umgewandelt. Drei Wochen dauert das. Ich versuche spontan zu buchen. Dieses Jahr dauert die Saison hier übrigens gerade von Anfang August bis Mitte September, langsam erklären sich die Wahnsinnspreise.

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Schnittstelle zwischen den Welten. Das heutige Tagesprogramm, von rechts nach links zu lesen.

Und dann sind wir da, viel zu früh, in Japan!

Alles ist nun anders, das sofort Augenscheinlichste: wir sind im Land des Lächelns, in Russland total unbekannt.

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Wakkanai von oben.

Wakkanai, so heißt die Hafenstadt, ziemlich genau an der Nordspitze Hokkaidos ist die nördlichste Stadt Japans. Alles ist natürlich sauber, ruhig, die Straßen sind leer, die Autos klein, leise und langsam. Die Anschriften an Geschäften und alle Verkehrszeichen sind auch auf russisch ausgeführt.

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Die nördlichsten 100m japanische Eisenbahnschienen, rostig. Im Hintergrund der Bahnhof von Wakkanai.

Dann ein Bahnübergang, der Bahnhof ist auch nicht weit. Das Gleis dorthin sieht aber irgendwie rostig aus. Auch ohne Japanischkenntnisse ist schnell klar: hier fährt heute kein Zug. Diverse Fotos in der Abfahrtshalle erläutern, warum: die Zyklone, die auf Sachalin tagelang den Bahnverkehr zum Erliegen brachten und hier Taifune heißen, haben auch Japan Rail zugesetzt. Aber morgen, da soll die Bahn wieder fahren.

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Bahnhof Wakkanai von innen, in Bildmitte der abgesperrte Bahnsteigzugang.

Die Fähre nach Rishiri fährt jedenfalls! Rishiri ist eine kleine Vulkaninsel nicht weit von hier. Der „kleine“ Vulkan ist immerhin 1721m hoch. Und eigentlich wollte ich da sowieso hin.
Guianluca und Maria wollten das auch und sie haben auch ein bezahlbares Quartier dort. So ist es eigentlich keine lange Überlegung. Aber „Achtung, seien Sie bitte mindestens 5min vor der Abfahrt am Schiff, sonst kann keine Beförderung mehr garantiert werden!“ so tönt es mehrsprachig aus den Lautsprechern im Fährterminal.
Sie wird aber trotzdem garantiert, denn das Personal rennt, hilft den in letzter Minute kommenden Reisenden statt über die schon eingeklappte Passagierbrücke übers Ladedeck aufs Schiff, wo die Kollegen schon mit dem typischen Blick auf die Uhr warten. Und trotzdem, Punkt 16.39Uhr wird die Luke hochgefahren, und eine Minute später waren die Leinen weg, denn Abfahrt ist 16.40Uhr! Der Flash geht weiter.
Unglaublich, wir erinnern uns: einen ganzen Tag kostete dagegen die sinnlose und umständliche Prozedure der Russen z.B. in Vanino…

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Auf dem Weg nach Rishiri.

Das Schiff ist schick und ziemlich groß. Es gibt alles sowohl in „Japanse Style“ als auch in „Western Style“. In der zweiten Klasse Japanese Style sitzt man auf dem Fußboden, „go there and make new friends“ kann man als Erläuterung auf Englisch dazu nachlesen, natürlich gehen wir dahin.

Nebenan ein paar Isrealis, sie wollen den Vulkan auf der Insel heute Nacht besteigen und den Sonnenaufgang morgen früh auf dem Gipfel erleben. Sportlich, schon bei Tage soll der Aufstieg sechs Stunden dauern.

Dann der obligatorische Kaffee, in jedem neuen Land muss das getestet werden. Am Kiosk auf dem Schiff verweist man auf einen Automaten, der von außen so aussieht, als wenn er nur Kaltgetränke führt. Auch auf Nachfrage besteht der Kioskmann darauf, dass es dort heißen Kaffee gebe. Also Geld einwerfen, Dose anfordern – voilà, kalter Kaffee! Aber wir wären nicht in Japan, wenn nicht….nochmal Geld einwerfen (diesmal macht das der Kiosk-Mann) und voilà, heiße Dose mit Kaffee!
Der rote Button wäre es gewesen, nicht der blaue! Ist doch logisch! Der Fehlkauf wird natürlich anstandslos zurückgenommen.

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Mein erster heißer Automaten-Dosen-Kaffee.

Auf dem Sonnendeck treffe ich Nathalie aus Gent, sie war auch auf dem Sachalin-Schiff und hat damit natürlich auch das Traveldiplom verdient. Nathalie ist auf dem Landwege via Transsib aus Europa angereist, hat ihre Planung aber anders ausgerichtet als ich: für Russland genügte ihr ein Monat, während sie in Japan zwei davon verbrauchen will. Mir völlig unverständlich, aber es muss was dran sein. Jemand der Sachalin nicht nur auf der Karte sondern auch in der Natur findet, hat wohl ein wenig Erfahrung im Reisen…

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Sonnenuntergang über Rebun.

Und so gerät mein Japanbild mit jedem Meter den wir uns dem mir total unbekannten Land nähern, langsam ins Wanken. Bisher hatte ich nur Bilder von riesigen Betonorgien allerorten abgespeichert. Aber mit allem was ich hier sehe und erfahre frage ich mich schon bald, ob Nathalies Plan vielleicht gar nicht so verkehrt ist.

Organisation, nächste Stufe: für Guianluca und Maria steht natürlich ein Abholservice am Fährterminal bereit. Ein kurzes Telefonat, ein Lächeln, und natürlich ist im Green Hill Inn Hostel auch Platz für Nathalie und Thomas, zufällig ist der Abholservice gleich mit einem kleinen Minibus vorgefahren.
Die Hostel ist wunderschön, gemütlich eingerichtet, viel Holz. Die Türen sind hier 1,70m hoch, das ist immerhin so niedrig, dass ich nicht versehentlich gegen renne. Aber Grundregel eins in Japan: Niemals rückwärts gehen!

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Und so sieht es von außen aus, wenn die Abendfähre Rishiri erreicht.

Gut dass es keine Betten passend zur Türhöhe gibt, denn Schlafen tut man (wieder) auf dem Boden. In den Zimmern sind einzelne Buchten mit halbhohen Wänden abgetrennt. Im „Couple room“ von Maria und Guianluca ist die Trennwand etwas höher. In Japan ist eben alles anders.

Ach und noch etwas, Aferry.com, die Buchungswebsite auf der der nächste Fährabschnitt gebucht wurde, hat einen „request for change“ gesendet, es scheint Bewegung in meine gewünschte Umbuchung der Korea-Fähre vom 17.9. auf den 24.9. zu kommen.

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Unsere Herberge am Ende des Dorfes.

Und was fehlte noch zum vollständigen Japan-Flash? Richtig, ein japanisches Restaurant. Das ist auch nicht weit, man sitzt wieder in Buchten auf dem Fußboden und das Personal ist hilfsbereit, auch wenn es überhaupt kein Englisch spricht. Aber Hilfe aus der „Nachbarbuchte“ naht. Zu unserer Freude sind nicht nur die Gerichtsnamen Japanisch, nein die Preise auch gleich noch, nutzen doch die Japaner je nach Lust und Laune zwei verschiedene Zahlendarstellungen. Aber im derzeitigen Zustand ist mir alles egal. Einfach aufsaugen, genießen. Fertig.


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